Samstag, 20. Januar 2007

Arabisch-Persischer Laden am Berliner Tor

Eigentlich kann man ihn gar nicht verfehlen, den arabisch-persischen Lebensmittelmarkt in der Nähe der S-Bahn Haltestelle Berliner Tor, auf der Ecke zwischen Adenauerallee und Lindenstrasse. Dazu ist seine riesige Schaufensterfront, auf der an Sonnentagen die aufgeklebten fremdartig wirkenden Schriftzeichen funkeln, einfach viel zu groß. An Laufkundschaft dürfte es ebenfalls nicht mangeln, befinden sich doch in unmittelbarer Nähe einige Gebetshäuser diverser islamischer Gemeinden.



Im Grunde also eine Traumlage für diesen Markt mit seinen Dingen für den täglichen Gebrauch. Doch so recht ansehnlich wirkt die gesamte Szenerie nicht. Die Gegend ist nach landläufiger Meinung nicht die Beste; außerdem zerfurchen gleich mehrere breite Autospuren die Strasse hoffnungslos und es herrscht permanenter Vekehrslärm. Keine guten Voraussetzungen also für einen animierenden Ladenbummel mit anschließendem Einkauf. Hinzu kommt, dass die Betreiber anscheinend nicht viel von einer schmückenden Schaufensterdekoration halten, muß man offen gestehen. Überhaupt ist der Laden eher spartanisch eingerichtet, das Warenangebot recht knapp. Recht lohnenswert ist jedoch die hübsche Auswahl an Porzellan und Essgeschirr; ferner die kleine Abteilung mit persischer Literatur, die selbstverständlich den Koran in handlicher Taschenbuchausgabe vorrätig hält und – ja, es ist kein Schreibfehler: Rotkohlgläser. Trotz alle dem und der Rotkohl-Kuriosität ist der Laden doch eher unspektakulär, so daß ich ursprünglich gar nicht vorhatte, ihn mit in meine Sammlung aufzunehmen. Wenn da nicht, außer der blitzenden Fassade, die Begegnung mit den beiden liebenswürdigen Herren gewesen wären, die den orientalischen Markt für mich unvergesslich machen.









Aufmerksam auf mich wird der Verkäufer, weil ich lange vor dem Laden mit meiner Kamera herumhantiere, um die Schaufensterfronten ins Visier zu nehmen. Neugierig beobachtet er mich vom Kassentresen aus. Ich gebe ihm ein Zeichen und gehe hinein. Der vielleicht 40jährige, mit Drei-Tage-Bart und in blütenweißem Hemd, lächelt mich verlegen an, weiß nicht recht, was er sagen soll. Mein Interesse an seinem Laden ist ihm sichtlich fremd. „Foto?“, fragt er zögernd und deutet auf meinen Apparat. Ich erkläre ihm mein Vorhaben, die ersten Sätze auf Deutsch, dann auf Englisch, da er hilfesuchend mit den Achseln zuckt. In Französisch gebe ich auch noch mein Bestes, doch meine Absichten bleiben für ihn unverständlich. Kurzerhand schnappe ich mir ein Buch aus dem Bücherständer und deute darauf, dann auf meine Kamera, dann auf mich, dann schlage ich das persische Buch auf und mache mit der Hand Schriftzeichen. „Buch und Foto?“, dämmert es ihm langsam. „Von Laden?“ Ich nicke. „OK. Gut“, erwidert er und lächelt. Mit einer ausholenden Armbewegung stellt er mir seinen Laden „zur Verfügung“. Jetzt kann ich mir alles anschauen, stöbern und so viele Fotos machen, wie ich möchte. Er beobachtet mich, erklärt einiges, leider in Persisch, das sehr melodiös und weich für meine Ohren klingt. Aufgeregt ruft er einem älteren Herren etwas zu, der mittlerweile das Geschäft betreten hat. Er mag vielleicht 70 Jahre sein, gekleidet in einen etwas verschossenen grauen Herrenanzug, darunter trägt auch er ein weißes Hemd, zwischen seinen Fingern spielt er mit einer kleinen Gebetskette. Eifrig stützt er sich auf seinen Gehstock, der ihn alleine aufrecht zu halten scheint. Die Beiden wechseln einige Worte, wobei der Drei-Tage-Bart-Ladenbesitzer in meine Richtung deutet. Der Ältere stellt ihm daraufhin einige Fragen, die der Jüngere mit Nachdruck bejaht. Während mein Blick durch die Regale schweift, sucht der alte Herr langsam schlurfend seine Einkäufe zusammen. Am Kassentresen geht ihre Unterhaltung dann weiter. Wieder scheint der Ältere eine Frage zu stellen, worauf die Antwort wie ein Hab-ich-doch-gerade-gesagt klingt. Schlurfende Schritte kommen in meine Richtung. Trotz seines tattrigen Eindrucks steht der weißhaarige Herr plötzlich abrupt kerzengerade vor mir, ruft mir etwas zu und winkt mich heran. „Kommen, bitte“, fordert er mich höflich lächelnd auf.







Ich folge ihm nach draußen vor den Laden. Er positioniert mich mitten vor die große Schaufensterfront. Dann beginnt er, sie hocherhobenen Hauptes abzuschreiten, ohne dafür einen Gehstock zu benötigen und erzählt dabei in seiner melodiösen Sprache. Vor dem großen Abziehbild einer blauen Moschee, die direkt neben der Eingangstür prangt, kommt er zum Stehen. Der Ladenbesitzer ist inzwischen hinzugekommen und stellt sich neben ihn. Selbstbewußt legt der Alte seinen Arm um ihn, vielleicht ist es sein Sohn, sein Neffen oder sein Schwiegersohn, denke ich - beide strahlen mich an. Nachdem der Alte wieder Atem geholt hat, zeigt er auf die blaue Abziehmoschee. Dann folgen einige wohl erklärende Sätze, zum Schluß zeigt er auf sich und den Jüngeren. Mit Stolz geschwellter Brust verhaaren die beiden Männer für einen Augenblick vor dem religiösen Klebebild, auch wenn der Jüngere etwas verduzt dreinblickt, angesichts der spontanen Deklamation. Ich lächele, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll. „Machen Foto, mehr Foto“, fordert mich der Ältere auf. Zum Abschluss schüttelt er überschwenglich meine Hand. Danach sichtlich aus der Puste, stützt er sich energisch wieder auf seinen Stock, dreht sich um und geht mit seinen Einkäufen ganz langsam von dannen in Richtung Lindenstrasse. Mit den Worten „Foto gut. Danke“, verabschiedet sich auch der Jüngere. Er strahlt übers Gesicht, deutet sogar leicht eine Verbeugung an. Dann verschwindet er in seinem unspektakulären Laden und bedient wieder die Kunden.

Leider erfahre ich nicht, was es mit den Rotkohlgläsern auf sich hat. Sicherlich servieren ihn die Perser raffiniert gewürzt und ohne die obligaten Knödel. Wiederkommen mit drei Brocken Persisch werde ich auf jeden Fall.