Mittwoch, 4. Juli 2007

Das "Reich der Mitte" auf dem Friedhof Ohlsdorf

Wer die wenigen sommerlichen Tage dazu nutzen möchte, im Grünen zu verweilen und trotzdem auf Entdeckungstour im Sinne von Hamburg Oriental Style zu gehen, der sollte sich zum Ohlsdorfer Friedhof aufmachen. Denn hier, in der Nähe von Kapelle 10, gibt es ein Symbol, das für die guten Beziehungen zwischen China und Hamburg stehen soll – eine Gedenkstätte für die in Hamburg verstorbenen Chinesen.

Der trübe Herbsttag im Jahr 2006, an dem das Areal von offziellen Vertretern der Stadt und dem chinesischen Konsulat der Öffentlichkeit übergeben wurde, ließ die weißen Löwen rechts und links der Seitenaufgängen noch mürrischer erscheinen, als sie ohnehin schon dreinblickten. Die wenigen Blätter an den umstehenden Birken wurden vom Wind heruntergeweht. Der Gedenkstätte stand der erste Hamburger Winter bevor. Damals blieb sie weitestgehend unentdeckt. So idyllisch sie auch liegen mochte, nur sehr hartgesottene verirrten sich abseits der Südallee hierhin.

Doch inzwischen erregen die Löwen und der Gedenkstein Stauen bei den Spaziergängern und Radfahrern, die hier gerne auf einer Bank, zwischen lauschigen Bäumen und kleinem Teich, eine Pause einlegen. Nur leider haben die Offiziellen vergessen, eine erklärende Tafel für die Neugierigen aufzustellen. Dabei gibt es einige interessante Dinge über die Historie der Chinesen auf dem Ohlsdorfer Friedhof zu berichten.

Die Hintergründe reichen bis in das Jahr 1929 zurück, als der Deguo Hanbao Zhonghua Huiguan („Chinesische Verein in Hamburg“) einen Pachtvertrag über eine Grabstätte mit der Friedhofsverwaltung abschloß. Damit sollten die in Hamburg lebenden Chinesen die Möglickeit bekommen, auch außerhalb des Heimatlandes eine würdige Beerdigungsstätte zu finden, selbst wenn sie kein Geld hatten, ihren Leichnam nach China überführen zu lassen.
Da der Bestattung in heimatlicher Erde eine zentrale Rolle im kulturellen Leben der Chinesen zukommt, ist der symbolische Charakter eines solchen Ortes nicht hoch genug anzusetzen.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl der wenigen Hundert chinesischen Seeleute, Restaurantbetreiber und Wäschereibesitzer im fremden Hamburg wurde durch die Grabstätte gestärkt. Während der Herrschaft der Nationalsozialisten blieb die Grabstätte von Verschandelungen verschont; der Alltag der Chinesen war jedoch vom Terror und dem Rassismus der Nazis geprägt. Auch sie erlebten Verfolgung und die Deportation in Konzentrationslager. In der Nachkriegszeit verwaiste die Grabstätte zunächst, Unkraut überwucherte das Terrain. Ab Mitte der 50er Jahre erwacht die Migrationsgeschichte der Chinesen in Hamburg langsam neu, so daß auch der symbolisch wichtigste Ort wieder eine Rolle im Leben der Menschen aus dem Reich der Mitte zu spielen begann.

Heute geht die Initivative für die Grabstätte nicht von einem chinesischen Verein aus, sondern ist ein Anliegen der Offiziellen Chinas. Ein weiterer Beweis dafür, welchen Stellenwert Hamburg im Denken und Fühlen der Chinesen besitzt. Vielleicht haben sich die Hamburger und die Chinesen im Alltag noch nicht gefunden, aber eine gemeinsame Ruhestätte, zum Verweilen, Gedenken und Innehalten, haben sie bereits – in der Nähe von Kapelle 10, entlang der Südallee und dann rechts abbiegen, in den kleinen Fußweg.


Wer mehr über die Geschichte der Chinesen in Hamburg erfahren möchte, der sollte sich das sehr informative und äußerst lesenwerte Buch Fremde – Hafen – Stadt von Lars Amenda aus dem Dölling und Galitz Verlag besorgen. 368 spannende Seiten, die man nur so verschlingt!