Samstag, 27. Januar 2007

Sher-E-Bremer-Reihe - Ein Supermarket-Walla in St. Georg

„Akhbar, customer wants picture“, ruft der Angestellte seinem Chef Rat suchend zu, der im hinteren Teil des Ladens mit zwei Handys gleichzeitig am Ohr jongliert. „Achaa, achaa“, bellt Akhbar knapp zurück, der wohl nicht belästigt werden will und damit soviel wie Dann-laß-sie-doch-machen zum Ausdruck bringt. Wieder so ein lästiger Shah Rukh Khan-Fan, der ein Filmposter schnorren will, denkt er wahrscheinlich. Auch wenn ich dem Bollywood-Spektakel nicht abgeneigt bin, interessiert mich der Laden jedoch mehr als der indische Superstar. Dem Konterfei des „King of Khans“, wie die Plakate den Bollywood-Schauspieler oftmals nennen, begegnet man in fast jedem Supermarket-Walla in Hamburg. Wie ein Schutzheiliger, der für gute Umsätze sorgt, hängt sein Bild oftmals gleich neben dem von Ganesha oder direkt hinter dem Kassentresen. Der Favorit unter den Wunsch-Schwiegersöhnen, von dem wahrscheinlich nicht nur indische Mütter träumen, ist sehr gut fürs Geschäft, besonders seit dem die deutschen Teenies das Bollywood-Kino für sich entdeckt haben, wie ich später erfahre.




„Wir haben aber leider nur noch beschädigte Filmposter von Shah Rukh Khan“, kehrt der verlegen lächelnde Angestellte zu mir zurück. Jetzt heißt es Aufklärungsarbeit leisten, dämmert es mir. Also lege ich los. „Sie wollen ein Bild machen von dem Laden? Kein Poster von SRK?“, blinzelt er mich irritiert an. „Aber wir bezahlen für keine Werbung, ok. Keine Werbung!“, wackelt er nachdrücklich mit dem Kopf. Ich beruhige ihn nochmals, deute auf meine Fotomappe und beschwichtige ihn mit einigen Handzeichen. Während ich draußen vor dem Laden herumspringe, beobachten mich der ewig telefonierende Handy-Akhbar und der Angestellte ungläubig durchs Schaufenster.

Wer will ein Poster von Shah Rhuk Khan, wenn er das indisch-pakistanische Leben in Hamburg live haben kann, rumort es in meinem Kopf. Es ist nicht das erste Mal, dass ich zunächst auf verunsicherte Staunen treffen, wenn ich sage, dass ich beabsichtige, ein buntes Potpurri-Buch über Hamburgs ethnische Läden und das multinationale Leben hier machen möchte. Es ist interessant, dass die Besitzer ihren Laden nie als etwas besonderes im sonstigen „deutschen“ Filial-Dschungel ansehen. Dabei geht gerade den Betreibern von Ethno-Läden jegliche Art der globalen Uniformität ab. Jeder Einzelhandelsladen ein Unikat mit oftmals eigenen Waren – ein herrlicher Vorzug, der weltweit operierenden, konzerngesteuerten Filialen vollkommen fehlt. Noch interessanter: Immer mehr deutsche Konsumenten beginnen, diese Auswahl- und Stöbermöglichkeiten zu vermissen. Aber dies nur am Rande. Kehren wir zurück zu Sher-E-Punjab in der Bremer Reihe.


Ich will die orangeleuchtende Front von dem asiatischen-afro Markt knipsen, was sich angesichts der am Bordstein wartenden Damen nicht als ganz einfach erweist. Eine hat direkt begriffen, dass mein Aktionismus mit dem Fotoapparat die Kundschaft verscheut und trabt von dannen. Die andere zieht erst einen Flunsch, macht dann aber auch für einen Moment Platz, als ich sie freundlich darum bitte. Zwischen spelunkigen Kneipen, Döner-Läden und Sexgewerbe hat der kleine Laden seine Nische gefunden, der von buntfarbigen Perücken, über Räucherstäbchen, DVDs und CDs bis zu Yamwurzeln alles verkauft, was man zum Leben braucht. Als ich das Geschäft betrete, ist der mürrische Akhbar mit seinen Handys verschwunden, stattdessen hat ein silbrighaariger Herr in blütenweißem Hemd hinter dem Kassentresen Platz genommen. „Namaste. Guten Tag“, begrüßte er mich freundlich lächelnd. Der Angestellte von vorhin hat sich inzwischen darüber beruhigt, dass ich nicht an seinem lädierten Shak Rhuk Khan-Poster interessiert bin. Viel lieber möchte ich etwas über den Namen des Ladens erfahren. So erklärt er mir, dass Sher-E-Punjab in etwa „Löwe vom Punjab“ bedeutet und seit Alters her als Ehrentitel für erwürdige und mächtige Männer aus dieser Region Indiens gebraucht wird. Auch heute noch wird dieser Titel zur Anrede verwendet. Plötzlich ist Akhbar wieder da und hat unsere Unterhaltung wohl mitgehört, jedenfalls hat er Sher-E-Punjab verstanden. Als Sikh trägt er einen Turban, rosafarbenen, und dazu einen crémefarbenen Anzug, der im Zusammenspiel mit seinem dunklen Teint, ziemlich elegant wirkt. Er fragt seinen Angestellten auf Punjabi etwas. Dann poltert Akhbar auf Englisch los, mit einem entzückenden Akzent. „Overseas sis nem has no meaning anymorrre. Everrry stinky restaurrrant uses this venerrrable title. Not possible in Punjab!“ und fegt die Nichtsnutze mit einer Handbewegung fort. Ohne ein Schlußwort oder sich zu verabschieden, trollt er sich von dannen.

Langsam füllt sich der Laden mit Kundschaft. Es wird laut, hektisch und eng. Der silbrighaarige Mann hinter der Kasse und Akhbars Angestellter haben alle Hände voll zu tun. Fragen zu stellen ist jetzt schlecht mehr möglich. Als ich meine beiden Bhangra-CDs an der Kasse bezahle, versuche ich es dennoch. „Was verkauft sich denn am besten bei Ihnen?“. Und wie aus der Pistole geschossen, antworten beide: „Bollywood-DVDs!“. Dann sind die Inder also filmbegeistert, fühle ich mich bestätigt. „Inder, ja auch“, sagt das Silberhaar, „aber die deutschen Mädchen sind am schlimmsten“, lacht er verlegen. „Fünf oder sechs auf einmal schreien im Laden, wenn sie eine neue DVD von Shah Rhuk Khan bei uns sehen. Ganz schlimm“, wippt sein Kopf hin und her. „Wenn sie weg sind, zündet er immer Räucherstäbchen an, und stellt sie vor das Bild von Shah Rhuk Khan gleich neben der Kasse“, foppt ihn sein Kollege aus einem Kundengespräch heraus. Wir, und die Kunden, müssen lachen. „Nahi, nahi“, antwortet der silbrige Herr. „Nein, nein. Für mehr Geld und Glück. Und mehr Mädchen!“, fügt er beinahe schallend lachend hinzu. Sein dabei tomatenrot anlaufendes Gesicht wird mir für immer in Erinnerung bleiben, wenn ich an den „Sher-E-Bremer Reihe“ denke.