Dienstag, 5. Dezember 2006

Erstaunen und Entdecken

Den Anfang zu der Idee, eine Fotosammlung von den vielen Ethno-Shops anzulegen, markiert die Entdeckung des thailändischen Supermarktes auf der exponierten Ecklage Langen Reihe und Spadenteich in St. Georg. Wie ein Blitz hat mich seine leuchtend rote Außenfassade getroffen, von der sich die übergroßen fremdartigen Schriftzeichen um so deutlicher abheben. Mit strahlend weißen Lettern lockt er seine Kunden. Thai Asian Supermarkt ist dort zu lesen – mitten in Hamburgs wuseligem Viertel St. Georg!


Stolz wehen gleich mehrere thailändische Flaggen auf dem Dach und Kinder, in der Tracht einer der Bergstämme Thailands, begrüßen die Kunden mit einem Wei von zwei großen Plakaten, die rechts und links neben dem Eingang hängen. Ein sagenhafter Eyecatcher, an dem kein Foto-Fan vorbei gehen kann. Das gesamte Erscheinungsbild des Ladens zieht neugierige Passanten geradezu magisch an, die sich über den vielleicht auffälligsten Paradiesvogel unter den Lebensmittelmärkten wundern. Links von ihm steht die St. Johanniskirche, rechts verläuft die vielbefahrene Lange Reihe, gegenüber befindet sich eine Filiale der Hamburger Sparkasse – deutlicher kann ein Kontrast kaum ausfallen. Einige Meter weiter stößt man auf den vielleicht ältesten indischen Supermarkt Hamburgs, Mathabi, eine Institution in Sachen Curries und Gewürze. Ihm folgen ein Laden für Modellbau, eine Schneiderei und, etwas weiter die Straße hinunter, die Filiale einer Bäckerei. Immer wieder bin ich auf diese scheinbar unvereinbaren Gegensätze zwischen angestammten und hinzugekommenen Ethno-Läden gestoßen. Mit ihren fremdklingenden Namen, den bunten Schaufenstern, die zuweilen ein chaotisches Sammelsurium aus unbekannten Produkten, Haushaltswaren, Lebensmitteln und Bekleidung darbieten, den ausländischen Reklameschildern und ihren ungewohnten Schriftzeichen, ziehen die multiethnischen Läden den Betrachter sofort in ihren Bann. Wohltuend erlebt man sie als Farbtupfer in einer ansonsten tristen Warenwelt aus uniformen Filialgeschäften. Ihre Andersartigkeit ist ein wahres Aha-Erlebnis. Zwischen dem immergleichen Einerlei aus Markenlogos, Labeln und redundanten Warensortimenten, lugen die Ethno-Shops als anregende Einsprengsel deutlich hervor. Streift man längere Zeit durch die Hansestadt, entdeckt man immer mehr dieser dynamischen Vielfalt. Sie sind so verschieden in ihrer Größe, ihrer Gestaltung und in ihrem Angebot, wie die Kultur, die sie präsentieren. Die Geschäfte reichen von kleinen „Tante Emma“ -Läden, die nur das Nötigste für den täglichen Bedarf an Lebensmitteln anbieten, bis hin zu mehreren zig Quadratmeter großen Supermärkten mit Tiefkühltruhen, frischem Obst, Gemüse, Fleisch und Kaufhäusern mit modischer Bekleidung, Haushaltswaren und Unterhaltungselektronik. Ganz gleich ob chinesische, thailändische, indische, persische, afrikanische, indonesische, vietnamesische oder afghanische Lebensmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs benötigt werden - es ist alles zu bekommen.

Inzwischen kaufen nicht nur Einwanderer in den Shops ein. Zunehmend finden auch „Natives“ Gefallen an den größtenteils (noch) unbekannten Waren. Durch diese vermehrte Akzeptanz, wird es einigen Ethno-Shops sicherlich gelingen, zukünftig den Status der Nischenökonomie hinter sich zu lassen und Teil der multiethnische Infrastruktur zu werden, die sich mehr und mehr in Hamburg etabliert. Und wer genau hinsieht, dem wird außer einem interessanten Sightseeing und Shopping-Vergnügen, auch ein kleiner Einblick in den Alltag der Einwanderer-Communities gewährt. So lässt sich zum Beispiel anhand der Anzahl der Läden ablesen, wie groß die jeweilige Immigrantengruppe ist und vielleicht auch, welche wirtschaftliche che Kraft von ihr ausgeht. Zudem kann man etwas über die Popkultur erfahren. Wer ist gerade der angesagteste Filmstar in Indien, welche Musik ist in den thailändischen Charts und welches ist der letzte Schrei der arabischen Mode.

Jede Community findet auf ihre Wünsche und Lebensgewohnheiten eingestellte Geschäfte, die ursprünglich Vertrautes nach Hamburg bringen. Diese Serviceleistung ist nicht unerheblich für das Wohlbefinden der Menschen hier in der Hansestadt. Liebgewonnene (Ess-) Gewohnheiten und Alltagsrituale lassen sich durch das breite Sortiment der Läden auch über viele Tausend Kilometer weiterleben bzw. wiederbeleben. Diese Vertrautheit kann für den Gemütshaushalt in einem (noch) fremden Land von unschätzbarem Wert sein. Sie sorgt für Ausgewogenheit, ein inneres Sicherheitsgefühl und fördert damit die Zuversicht, denn nicht alles ist fremd, nicht alles unverständlich. Der ungewohnte Rhythmus der jetzigen Umgebung wird durch die geläufigen Lebensmittel und Alltagsgegenstände aus den Asia-Märkten und Afro-Shops abgemildert, da nicht gänzlich auf Bekanntes verzichten werden muss. Insofern kommt den multiethnischen Läden ein bisher nicht berücksichtigter Faktor an „weicher“ Integration zu. Wer einmal für längere Zeit im Ausland, auf einem anderen Kontinent, in einem anderen Kulturkreis, gelebt hat, mag erfahren haben, wie wichtig solche profanen Dinge sein können. Das Stichwort Schwarzbrot soll hier genügen, damit sich jeder an die eigene Nase fasst. In der Fremde, in der viele Sachen anfänglich unerklärlich scheinen, bieten bekannte Dinge zunächst einen Halt, bevor man sich ganz den neuen Eindrücken öffnet und sich auf sie einlässt. Vietnamesen, Indern, Afrikanern, Chinesen, Thailändern und Persern verhalten sich diesbezüglich nicht anders als Europäer.

Es ist erfreulich, dass immer mehr Hamburger das Angebot der Ethno-Läden zu schätzen wissen. Die Menschen kommen miteinander in Kontakt, erhalten dabei vielleicht sogar Informationen über Alltägliches aus erster Hand. Beide Seiten begegnen sich auf Augenhöhe, fernab der gutgemeinten „Völkerverständigungsfeste“ und Multi-Kulti-Veranstaltungen. Interkulturelle Begegnungen finden auf unkomplizierte Art statt, in der vertrauten Situation von Kunde und Verkäufer. Es ist daher keineswegs vermessen, wenn den multiethnischen Läden eine gesellschaftliche und kulturelle Vermittlerrolle zugewiesen wird, die bislang allerdings noch keine Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden hat. Tatsache ist auch, dass diese Nischenökonomie einen maßgeblichen Anteil daran hat, dass sich das Bild der Einwanderer-Communities wandelt, weg vom Image der Fremden, die lediglich temporär geduldet sind, hin zu einem selbstbewussten Teil der gesamten Gesellschaft. Mitverantwortlich dafür sind hochmotivierte Händler, Unternehmer und Geschäftsleute, die sich ihren Platz in der „Hamburger Kaufmannschaft“ nicht mehr streitig machen lassen. Darum ist es endlich an der Zeit ihre bunten, extravaganten, außergewöhnlichen und einfallsreichen Läden zu präsentieren.